Da ist das Ding! Mit dem Camino hat Stevens Bike sein Portfolio um ein Carbon-Gravelbike erweitert. Wir haben das Hamburger Schotterfahrzeug zur Ausfahrt gebeten. Und zwar standesgemäß im Hohen Norden: beim Overnighter-Einsatz in Dänemark.
Text: Felix Krakow | Fotos: Michael Nehrmann | 01.07.2022
Der Song zum Bike: Passenger - The Long Road
Cross ist Boss! Im Querfeldeinsport ist Stevens Bikes aus Hamburg eine Macht. Viele Siege auf nationalem und internationalem Niveau wurden und werden auf Cyclocrossern „designed and engineered in Hamburg“ errungen. Vielleicht hat es auch deshalb ein bisschen länger gedauert, bis die hanseatische Marke ein echtes Gravelbike an den Start gebracht hat. Zum Modelljahr 2021 stellte Stevens das Prestige als Alu-Graveler vor. Jetzt kommt mit dem Camino auch ein Carbon-Bike für die Schotterstraßen dieser Welt. Wir haben das Kohlefaser-Geschoss ausprobiert.
Wir haben das Stevens Camino in der Werksausstattung getestet. Zwar bieten die Hamburger einige Modelle auch im Custom Aufbau an, für die Gravelbikes ist dieser Service aktuell jedoch nicht verfügbar. "Unser" Camino rollt auf den 28-Zoll-Laufrädern Fulcrum Rapid Red 900 mit 40 Millimeter breiten Continental Terra Speed Reifen. Geschaltet wird mit einem Mix aus Shimanos GRX 600 und 800 und 2x11 Gängen. Die Bremsen kommen aus Shimanos GRX-400-Serie. Die Farbe des in mattem Weinrot lackierten Rahmens nennt Stevens "Cold Magma Red". Das auf dem gleichen Rahmensatz basierende Stevens Camino Pro kommt in der Farbe "Vogue Silber".
Rahmen | Carbon SL Fiber |
Gabel | Stevens Full Carbon SL |
Schaltgruppe | Shimano GRX 2x11 (600/810) |
Bremsen | Shimano GRX 400 |
Übersetzung | 46/30x11-34 |
Laufräder | Fulcrum Rapid Red 900 DB |
Reifen | Continental Terra Speed 40-622 |
Vorbau | FSA SMR -6° |
Lenker | Oxygen Scorpo Aero Gravel, 44 cm, 8° Flare |
Sattelstütze | Oxygen Scorpo |
Sattel | Oxygen Triton |
Ein Hamburger in Dänemark: Wir waren mit dem Stevens Camino und seinem großen Bruder Camino Pro im ganz hohen Norden unterwegs. Nördlich von Dänemarks Hauptstadt Kopenhagen haben wir einen vollkommen missglückten und auf seine Weise doch perfekten Overnighter gemacht. Dabei durfte sich das Gravelbike auf so ziemlich jedem Terrain austoben. Von Straßen und den tollen, asphaltierten Radwegen Dänemarks über Singletrails, traumhafte Schotterstraßen und einen kurzen Einsatz am Ostseestrand gab es alles, was das Gravelbiker:innenherz begehrt.
Die Reportage zu unserem Dänemark-Overnighter findet ihr hier.
Menschen aus Hamburg eilt ja ein gewisser Ruf voraus. Eher etwas nüchtern und zurückhaltend in der Art, unaufdringlich und ruhig. Aber auch treue, zuverlässige Seelen, wenn man sie erstmal näher kennen gelernt hat. In diesem Sinne möchten wir festhalten: Das Stevens Camino ist ganz klar ein Hamburger! Oder um es mit Nis‘ Worten auszudrücken: „Ein unauffälliges Gravelbike – und zwar im besten Sinne."
Einmal im Sattel, fühlten sich die Fahrer auf Anhieb zuhause. Dabei notierten sie allerdings eine vergleichsweise gestreckte Sitzposition, an der auch das recht lange Oberrohr seinen Anteil hat. Überhaupt fällt das Camino mit einem Radstand von 1070 Millimetern in Rahmengröße 56 insgesamt recht lang aus. Auch die Kettenstrebe ist mit ihren 440 Millimetern üppig. Dieses Setup verleiht Stevens Carbon-Gravelbike einen satten Geradeauslauf. Auf dem Camino kann man mit viel Fahrspaß richtig lang im Sattel sitzen. Einzig genau dieser Sattel verleidet die Freude ein wenig. Er gibt sich wenig komfortabel und erinnert eher an einen Rennradsattel der alten Schule. Ein passender Sattel wäre für uns eindeutig das erste und wichtigste Upgrade für das Camino. Aber da der Sattel ohnehin individuell zum Gesäß von Fahrerin oder Fahrer passen muss, erscheint die werkseitige Ausstattung mit einem Highend-Sattel auch wenig sinnvoll.
Bei aller Laufruhe hat das Camino aber auch seine sportliche Seite. So vermitteln der eher steile Lenkwinkel und der kurze Vorbau ein durchaus agiles Handling. Insgesamt erreicht das Bike durch diesen Mix aus Laufruhe und Agilität seinen sehr ausgeglichenen Charakter. Dabei freut es sich auch, wenn ihm mal ordentlich die Sporen gegeben werden. Ein ausgewiesener Sprinter ist es aber eher nicht. Dazu möchten wir an dieser Stelle nochmal kurz über das Stevens Camino Pro sprechen, neben dem das Camino durch Dänemark rollte. Für 500 Euro mehr bringt der große Bruder des Camino fast einen Kilo weniger auf die Waage. Der Rahmensatz ist dabei identisch, aber in der Ausstattung wurde an allen Details geschraubt. Egal ob Laufräder, Kurbel oder Schaltgruppe, überall konnten ein paar Gramm herausgeholt werden. Selbst unter dem Reifen haben die Entwickler Hand angelegt und den besonders leichten Aerothan-Schlauch aus dem Hause Schwalbe verbaut. Insgesamt macht sich der Gewichtsunterschied zwischen den beiden Geschwistern speziell im Antritt und an steileren Anstiegen bemerkbar. Hier kann das Camino zwar voll überzeugen – aber das Camino Pro ist eine echte Rakete.
Allerdings: mit der dank Zweifachkurbel sehr breiten Übersetzung macht das Camino den Nachteil ein Stück weit wett. Denn auch wenn uns die richtig langen Anstiege bei der Tour durch Dänemark fehlten, überzeugte das Bike mit 30er Kettenblatt vorne und 34er-Ritzel hinten selbst an steileren Stichen. Auch dadurch ist es die vielleicht etwas alltagstauglichere Version der beiden Caminos. Apropos Alltag: Hier bietet das Camino viele Optionen. Zahlreiche Anschraubpunkte an Rahmen und Gabel ermöglichen die Montage von Flaschenhalter, Taschen, Gepäckträgern und mehr. Über einen optional erhältlichen Steg für die Sitzstreben lässt sich auch ein Schutzblech problemlos anbringen.
Schön gelöst ist die Aufnahme der Schaltzüge und Bremsleitungen. Dies laufen beinahe unsichtbar unter dem Lenkerband Richtung Vorbau, wo sie dann im Rahmen verschwinden. Das sieht toll aus, erschwert allerdings die Wartung. Überhaupt bietet das Bike mit seinem eher klassiche gehaltenen Diamantrahmen und fließenden Formen etwas fürs Auge. Nur der sehr hohe Spacerturm zwischen Vorbau und Steuerrohr sorgt bei Ästhet:innen für Schnappatmung. Aber an unserem Testrad wollten wir den Gabelschaft dann lieber doch nicht unwiederbringlich kürzen.
Mit der klassischen Rahmenform verzichtet Stevens also auf Features wie tief ansetzende Sitzstreben für höhere Dämpfung im Heck. Auch Federelemente wie Elastomer-Einsätze oder gar Dämpfer sind beim Camino nicht an Bord. Trotzdem bietet das Carbon-Bike ordentlichen Fahrkomfort – wenn wir mal von dem bereits angesprochenen Sattel absehen. Einen Großteil davon verantworten die 40 Millimeter breiten Continental-Reifen auf den Laufrädern. Wer mehr Komfort und Grip will, kann bis zu 45 Millimeter breite Pneus verbauen. Die ab Werk montierten Terra Speed überzeugen die Tester erneut mit ordentlich Speed und Kontrolle auf Asphalt und leichtem Schotter. Wer mehr Zeit im Gelände als auf gepflegten Wegen verbringen möchte, wechselt auf Reifen mit mehr Profil.
Für uns war das Stevens Camino das perfekte Bike für unsere Overnighter-Tour in Dänemark. Ein ausgeglichenes Fahrzeug mit gutem Vortrieb, das auf Asphalt und Schotter eine richtig gute Figur macht. Dank seiner insgesamt 21 Anschraubpunkte bietet es dabei zahllose Möglichkeiten. So lassen sich etwa Gepäckträger und Bikepacking-Taschen montieren. Für den Einsatz als sportliches Pender-Gravelbike finden auch Schutzbleche und Beleuchtung Platz. Auch die stimmige Auswahl der Komponenten und Reifen machen das Rad zum idealen Partner für sportliche Mehrtagestrips, bei denen es auch mal durch den Wald und über Feldwege gehen darf. Sprich: Das Stevens Camino ist ein tolles, zuverlässiges Touren-Gravelbike.
Marke | Stevens |
Modell | Camino |
Modelljahr | 2022 |
Reifenfreiheit | 45 mm |
Gewicht | 9,4 kg |
Preis: | 2.599 Euro |
+ ausgeglichener Charakter
+ vielseitiger Einsatzbereich
+ viele Montagepunkte
+ wertige Ausstattung
+ integrierte Zugführung
- wenig komfortabler Sattel
Ein echter Hamburger: Das Stevens Camino präsentiert sich als ruhiger, zuverlässiger und ausgewogener Begleiter für lange Gravel Rides. Es fühlt sich auf und abseits der Straße gleichermaßen wohl und bietet viele Optionen für Bikepacking oder Pendler-Einsatz. Echte Schwachstellen konnten wir nicht ausmachen, Einzig der Sattel wirkt etwas aus der Zeit gefallen. Wer es eine Spur flotter mag, greift für 500 Euro mehr zum Camino Pro.
A) Oberrohr | 572 mm |
B) Sitzrohr | 523 mm |
C) Steuerrohr | 170 mm |
D) Stack | 596 mm |
E) Reach | 407 mm |
F) Sitzwinkel | 73° |
G) Lenkwinkel | 71,5° |
H) Radstand | 1070 mm |
I) Kettenstrebe | 440 mm |
K) Tretlagerabsenkung | 70 mm |
Noch mehr Informationen zum Stevens Camino und Camino Pro gibt es auf der Website des Herstellers.
Ganz klar: Ohne Support auch aus der Fahrradbranche können wir die Idee des Gravel Collectives nicht leben. Aber uns ist es wichtig, euch darüber zu informieren, wo und wie wir unterstützt werden. Wir spielen mit offenen Karten.
Konkret hat uns Stevens für diesen Artikel die Testbikes kostenfrei für den Testzeitraum überlassen. Auf die Inhalte und Abläufe hatte Stevens Bikes keinerlei Einfluss.